"Wir stehen ganz am Anfang“

Foto: Arberlandkliniken

Die Landrätin, Klinikärzte, Amtsärztin, Impfarzt und Klinikenvorstand warnen vor der Entwicklung der Pandemie

Landrätin Rita Röhrl. Fotos: Heiko Langer/Landkreis Regen

Landrätin Rita Röhrl. Fotos: Heiko Langer/Landkreis Regen

Viechtach. „Wir haben heute eine Situation, die ich als katastrophaler als im vergangenen Jahr empfinde“, sagt Regens Landrätin Rita Röhrl. Aus diesem Grund lud sie zu einem Pressegespräch in die Arberlandklinik nach Viechtach ein. Mit dabei waren Dr. Christian Pötzl und Dr. Günther Schmerbeck, die ärztlichen Direktoren aus den Arberlandkliniken Zwiesel und Viechtach, Amtsärztin Dr. Carolin Müller, der medizinische Leiter des Impfzentrums Dr. Stefan Brücklmayer und Christian Schmitz, der Vorstand der Arberlandkliniken. Sie alle zeichneten ein düsteres Bild von der aktuellen Situation.

Dr. Carolin Müller

Dr. Carolin Müller

Dr. Müller, die Leiterin des Gesundheitsamtes, belegte anhand von Zahlen und Fakten, dass sich die Lage immer mehr zuspitzt. Die Fallzahlen seien demnach fast täglich angestiegen, vom niedrigen Niveau im Spätsommer zum Rekordwert mit einer Inzidenz von über 860 Fällen pro 100000 Einwohner. Man befinde sich im exponentiellen Wachstum. Eine Trendwende sei nicht zu erkennen. „Mittlerweile gibt es im zweiten Halbjahr schon elf Todesfälle“, weiß sie und bittet die Menschen weiter sich an die Regeln zu halten. „Halten Sie Abstand. Achten Sie auf die Hygiene“, fordert sie und weist darauf hin, dass Händeschütteln immer noch keine gute Idee ist.

Mit sehendem Auge in die Katastrophe

Dr. Christian Pötzl

Dr. Christian Pötzl

Während die Amtsärtzin davon berichtet, dass die Kontaktnachverfolgung nur mehr schwer möglich ist und die alle Mitarbeiter am Limit arbeiten, zeichnet Dr. Pötzl ein fatales Bild von der täglichen Arbeit in den Kliniken. „Wir sind sehenden Auges in die Katastrophe marschiert“, sagt er und erklärt, dass die „Pflegenden und die Ärzte am Limit sind. Die Arbeit ist belastender geworden.“ Dabei wüssten sie, dass sich die aktuellen Zahlen erst in ein oder zwei Wochen in den Krankenhäusern wiederspiegeln. In Zwiesel habe man nun neben Viechtach ebenfalls eine Coronastation; Intensivfälle würden in der Regel in Viechtach behandelt.

Covid-Patienten in Konkurrenz mit anderen Kranken

Dr. Günther Schmerbeck

Dr. Günther Schmerbeck

„Wir haben derzeit vier Patienten mit einer Coronainfektion auf der Intensivstation“, berichtet Dr. Schmerbeck. Auch in Viechtach, wo man neben der Intensivbehandlung auch Covid-19-Infektionen auf der Normalstation behandelt, ist man am Limit. Auch Schmerbeck wird deutlich: „Es gibt eine Konkurrenzsituation von Covid-Patienten und Patienten mit anderen Krankheiten.“ Die Bettenzahl sei knapp, intensivmedizinisch könne man nicht mehr jeden aufnehmen und auch Operationen müssen mittlerweile in Viechtach verschoben werden. „Wir haben unsere OP-Tätigkeit um 35 Prozent reduziert“, so Schmerbeck weiter. Wenn sich die Situation weiter so entwickelt, wovon man derzeit ausgehen müsse, dann werde man in Viechtach eine zweite Intensivstation eröffnen müssen.

Zweite Intensivstation wäre wie Feldlazarettbehandlung

Für die Mitarbeiter, die Covid-Patienten behandeln, bedeutet dies einen hohen Mehraufwand. Es muss Schutzausrüstung getragen werden. Foto: Arberlandkliniken

Für die Mitarbeiter, die Covid-Patienten behandeln, bedeutet dies einen hohen Mehraufwand. Es muss Schutzausrüstung getragen werden. Foto: Arberlandkliniken

„Das kann man sich dann wie Feldlazarett vorstellen“, erklärt der Mediziner. Man habe zwar genügend Geräte, es fehle aber an entsprechenden Räumlichkeiten und an qualifizierten Mitarbeitern. Das Schlimme: „Wir hatten keine Ruhepausen.“ So habe man über den Sommer viele Behandlungen, die wegen Corona verschoben wurden, nachgeholt und auf einen ruhigeren Winter gehofft. Doch angesichts der schlechten Impfquote befürchten die Mediziner schlimmeres. „Momentan macht das Personal das herausragend“, erklärt Schmerbeck und weist darauf hin, dass die Behandlung von Covid-Patienten extrem aufwändig ist.

Impfen ist sozial

Alle anwesenden Mediziner machten noch einmal Nachdruck Werbung für die Impfung. „Wenn die Boosterimpfung angenommen wird und auch weiterhin Erstimpfungen stattfinden, dann werden wir die Pandemie auch bewältigen“, waren sich die Klinikmediziner einig. Dr. Brücklmayer erklärte, dass es kaum einen medizinischen Grund gibt sich nicht zu impfen:  „Jeder kann geimpft werden. Nur für den Impfstoff von Astra Zeneca gibt es zwei Erkrankungen bei denen dieser Impfstoff nicht gegeben werden darf, dafür aber die Impfung mit einem MRNA Impfstoff problemlos möglich ist.“ Und Dr. Pötzl klärt darüber auf, dass „Antikörperbestimmungen zwar modern, aber völliger Blödsinn“ sind. Jeder, dessen Impfung sechs Monate oder länger zurückliegt solle eine Auffrischimpfung bekommen. Auch Dr. Brücklmayer stößt in dieses Horn: „Impfen ist die einzige Behandlungsmöglichkeit, nur impfen schützt.“ Er freute sich zumindest darüber, dass seit einigen Tagen wieder eine Zunahme der Impfungen zu verzeichnen ist. Klinikvorstand Schmitz fasst die Meinung der Verantwortlichen bezüglich des Impfens treffend zusammen. „Impfen ist sozial. Punkt“, sagt er und verweist darauf, dass man mit einer Impfung auch die Verbreitung des Virus eindämmt. Sollte die Eindämmung nicht bald gelingen, dann sieht er sich gezwungen alle „Konzepte auf Katastrophenmedizin“ umzustellen.

mRNA per Impfung oder Infektion

So würden auch alle Beteiligten eine Impfpflicht begrüßen. Die Impfung sei sicher und wirksam so die Meinung der Mediziner und auch mehr als ausreichend erforscht. „In den 60er Jahren hat keiner nach Studien gefragt“, sagt Dr. Pötzl mit Blick auf die damals grassierenden Pocken und die erfolgten Impfungen: Heute wisse man, dass das Impfen in aller Regel ohne Nebenwirkungen von statten geht. Die Diskussion um den Impfstoff bringt Dr. Schmerbeck abschließend auf den Punkt: „Sie können sich aussuchen, wie Sie die mRNA in den Körper bekommen, mit einer Impfung oder durch Infektion.“

Meldung vom: 11.11.2021