Täter sind zu 100 Prozent selbst für ihr Handeln verantwortlich

Sechster Runder Tisch gegen häusliche Gewalt im Landratsamt Regen

Die relevanten Akteure rund um Prävention und Bekämpfung häuslicher Gewalt in Niederbayern saßen – koordiniert vom Landkreis Regen – an einem Tisch.

Regen. Jede vierte Frau in Deutschland erfährt laut Bundesministerium für Familie, Frauen und Jugend im Laufe ihres Lebens mindestens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt durch einen (Ex-)Partner. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht vom „global größten Gesundheitsrisiko für Frauen“ überhaupt. Um sichtbar zu machen, was auch bei uns im ländlichen Raum hinter verschlossenen Türen geschieht, um präventiv wirken zu können und Betroffen zu unterstützen, kam vergangenen Mittwoch bereits zum sechsten Mal der „Runde Tisch gegen häusliche Gewalt“ im Arberland zusammen.

Der Einladung von Sabine Riedl, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Regen, gefolgt waren Vertreterinnen und Vertreter des Polizeipräsidiums Niederbayern, der Kriminalpolizei Deggendorf, der Polizeiinspektionen Regen, Zwiesel und Viechtach, der Staatsanwaltschaft Deggendorf, des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS), der Hilfsorganisationen Pro Familia und Weißer Ring, des Ehrenamtlichen Frauennotrufs sowie der Caritas. Komplettiert wurde die Runde im Regener Landratsamt von Mitarbeitern des Jugend- und Sozialamtes sowie der Koordinierenden Kinderschutzstelle KoKi. „Bei häuslicher und speziell bei Beziehungsgewalt“, wusste Landrat Dr. Ronny Raith als Fachanwalt für Strafrecht, „handelt es sich um ein klassisches Tabu-Thema, das eng mit alten Denkmustern und Rollenbildern, Scham und Hilflosigkeit verbunden ist. Ich danke Ihnen nicht nur für ihr engagiertes Hinsehen und Handeln, sondern auch dafür, dass sie heute zum Austausch zusammengekommen sind – gerade, wo die Thematik im Sommer während der Urlaubszeit an Brisanz gewinnt.“

Als besonders niederschwelliges Angebot hat die Caritas Regen ein Hilfetelefon für Betroffene im Landkreis eingerichtet, welches an vier Tagen die Woche von Neu-Mitarbeiterin Laura Kißlinger und ihrer Kollegin betreut wird. „Wir kümmern uns“, so berichtete sie, „ganz ohne Anzeige oder die gewünschte Trennung vom Partner individuell um psychosoziale Erstberatung, Fragen des Gewaltschutzes, arbeiten mit den örtlichen Polizeidienststellen zusammen, bringen in Notunterkünften unter und vermitteln im Einzelfall auch an andere Stellen weiter.“ Dass auch abseits der eigenen Bürozeiten eine lückenlose Hilfekette gewährleistet bleibt, ist, so Kißlinger auf Nachfrage, sowohl caritasintern als auch durch die enge Zusammenarbeit mit dem Ehrenamtlichen Frauennotruf gewährleistet.

Eine gänzlich andere Herangehensweise an Opferschutz und Prävention stellte Sozialpädagogin Sonja Schmid von Pro Familia Niederbayern vor. Ihre Fachstelle „Täterarbeit“ rückt Personen ins Zentrum, die schon einmal durch Partnerschaftsgewalt aufgefallen oder gefährdet sind, künftig gewalttätig zu agieren. „Die Teilnahme am Programm ist staatlich finanziert und kann genauso auf behördliche oder gerichtliche Anordnung wie auf privates Bestreben hin erfolgen“, so Schmid. „Neben anderer Vorbedingungen bedarf es dafür aber immer einer gewissen Einsicht auf Seiten der Täter. Wer nicht davon abrücken will, dass ihm lediglich die Hand ausgerutscht sei, die Partnerin eine Watsche provoziert habe oder man völlig zu Unrecht 25 Therapiesitzungen absitzen müsse, dem bringt auch eine noch intensive Einzel- oder Gruppenarbeit nichts.“ Schmids Ziel ist es, Selbstwahrnehmung, Kontrolle und Empathie bei ihren Klienten zu stärken und alternative Konfliktbewältigungsstrategien einzuüben. „Dennoch muss Tätern klar werden: ‚Ich bin zu einhundert Prozent selbst für mein Handeln verantwortlich!‘“

Im Rahmen eines Exkurses stellten Karin Ganslmeier und Manuela Peyerl vom Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) dann das Sozialgesetzbuch SGB XIV vor. Seit 1. Januar 2024 bündelt dieses bundeseinheitlich erstmals alle zivilrechtlichen Entschädigungsansprüche „unter einem Dach“. Anspruchsberechtigt sind nunmehr nicht nur Geschädigte, sondern auch Angehörige, Hinterbliebene und nahestehende Personen unabhängig von Nationalität oder Aufenthaltsstatus. Psychische und physische Gewalt werden gleichwertig behandelt. Kinder gelten auch bei erheblicher Vernachlässigung als Opfer. Welche Graubereiche und Formulierungen hier nach wie vor kritisch zu sehen seien, bestimmte die Schlussdiskussion. „Der jeweilige Einzelprozess bleibt für Opfer von Gewalt aufwändig und kräftezehrend“, stimmten Ganslmeier und Peyerl zu. „Dennoch erhöht SGB XIV Leistungen spürbar und ermöglicht uns als zentrale Koordinationsstelle eine einfachere, schnellere und individuellere Unterstützung – und das ist es doch, was wir uns alle, wie wir hier sitzen, wünschen.“

Meldung vom: 27.06.2025